Auch viele Pankowerinnen wählen anscheinend nicht nach „Performance“, also Durchsetzung und Erfolg ihrer bevorzugten Partei, sondern nach Image und/oder das kleinste Übel. Das könnte eine Erklärung sein, warum die Grünen trotz Herrn Kuhn in der BVV stärkste Fraktion wurden.
Dennoch wurde erneut Sören Benn Bezirksbürgermeister, aus der – nun zweitstärksten – Linksfraktion. Die wichtigen Ressorts Stadtentwicklung und Umwelt/Verkehr gingen dafür an die dritt- und viertstärkste Fraktion, nämlich SPD und CDU. Teile dieses Deals wurden veröffentlicht: Eine Vereinbarung zwischen SPD und CDU sowie eine Kooperationsvereinbarung zwischen Linksfraktion und SPD-Fraktion.
Wir schauen sie uns mal im Hinblick auf den Verkehr an:
„Vereinbarung zwischen SPD und CDU zur Zusammenarbeit im Bezirk Pankow in den Jahren 2021 – 2026“
Man will pragmatische und bürgernahe Politik für alle machen. „Wir konzentrieren uns dabei auf die Aufgaben, die in unserem unmittelbaren Einflussbereich liegen.“ Dann wird u. a. „eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur“ genannt. Nun sind für die Leistungsfähigkeit für den Kfz-Verkehr die Hauptverkehrsstraßen da und für die ist der Bezirk nicht zuständig. Ob hier wohl der Radverkehr gemeint ist? Da gäbe es in der Tat zu tun…
Aber im 2. Absatz wird schon klar, worum es wirklich geht: „die […] Schlüsselressorts bei SPD (Stadtentwicklung, Bürgerdienste) und CDU (Straßen und Grünflächen, Ordnung) zu konzentrieren“ Das hat geklappt: Rona Tietje (SPD) verantwortet Stadtentwicklung und Bürgerdienste und eine Lehrerin von der CDU – Manuela Anders-Granitzki – ist jetzt Stadträtin für Umwelt und Verkehr (Ordnungsamt, Straßen- und Grünflächenamt und dem Umwelt- und Naturschutzamt).
Auf Landesebene brachten es die grüne Senatorin Günther und ihr Verkehrsstaatssekretär in der letzten Wahlperiode nicht fertig, die Verwaltung von ihrem autofreundlichen Vorgehen abzubringen. Sie ließen sich sogar „umdrehen“ und verkündeten Verwaltungsmeinungen. Das prangerten wir in unserer Bilanz der letzten Wahlperiode hier an.
Nun ist das die Hoffnung für das Bezirksamt: Dass das Straßen- und Grünflächenamt die begonnenen Planungen fortführt und umsetzt – insbesondere zur Verkehrsberuhigung und Radverkehrsförderung -, egal wer gerade Chefin spielen darf.
„Ziel ist es, kommunalpolitische Erfolge zu erzielen und nicht in ideologischen Gräben zu verharren.“ schreiben CDU und SPD. Dass dieser Deal zustande kam, zeigt leider auch den Stellenwert von Klimaschutz und Verkehrswende bei der sich vor der Wahl verkehrlich so fortschrittlich gerierenden Pankower SPD.
Neben der Personalvereinbarung soll es auch gemeinsame Anträge von CDU und SPD geben: Man will „den Umweltverbund durch punktgenaue, bedarfsorientierte Angebote verbessern“. Der Umweltverbund beinhaltet auch Rad- und Fußverkehr, für den der Bezirk zuständig ist. Konkret werden dann aber U-Bahn-Ideen genannt, deren Bedarf noch ungeklärt ist und für die der Senat zuständig wäre. Aber U-Bahntunnel sind selbstverständlich keine ideologischen Gräben. Weiter wird lediglich ein „Kiezbus“ für Blankenburg genannt. Die S-Bahn-Verlängerung von Wartenberg nach Karow, die Nahverkehrstangente, die Straßenbahnprojekte – Fehlanzeige.
Es sollen aber auch „dringend notwendige Radwegeverbindungen zwischen den Ortsteilen Blankenburg, Karow und Französisch Buchholz sowie in und durch Weißensee [ge-]schaffen“ werden. Das wäre in der Tat sehr sinnvoll. Allerdings sollten nach Ansicht der CDU „Fahrradschnellstraßen […] ohne eine Reduzierung der Leistungsfähigkeit bestehender Verkehrsstraßen […] als Ebenen +1 Varianten über Greifswalder Straße /Berliner Allee, Prenzlauer Allee / Prenzlauer Promenade und -1 Varianten zur Unterquerung verkehrlich stark frequentierter Kreuzungspunkte“ geprüft und gebaut werden, so ein CDU-Antrag ans Abgeordnetenhaus (DS 18/1744 von 2019). Also die Straßen den Autos, Radfahrende auf Hochstraßen oder in Tunnel – da sind wir gespannt, wie die zuständige Stadträtin solche fachkenntnisfreien 60er-Jahre-Träume angehen wird.
Im nächsten Absatz der Vereinbarung geht es um zu bauende tangentiale Hauptverkehrsstraßen, für die allerdings der Senat zuständig ist. „Pendlerverkehre stellen insbesondere für den Pankower Nordostraum eine massive Belastung dar.“ heißt es zutreffend. Da neue Straßen auch neuen Kfz-Verkehr anziehen, erscheint der darauffolgende Satz als Widerspruch: „Diese wollen wir auch in Kooperation mit den Umlandgemeinden reduzieren.“ Die Pendler werden allerdings durch neue Autostraßen noch ermuntert, auch weiterhin mit dem Auto zu fahren.
Vielleicht bezieht sich „Diese“ nicht auf die Pendler, sondern die Belastung durch den Kfz-Verkehr. Autoverkehr aus Brandenburg vor der Haustür ist auch für autofahrende CDU-Wähler nicht schön. Man will also den Autoverkehr verteilen, so dass alle etwas davon haben. Und die Berliner Allee bekommt dann noch mehr 🙁
Aber nicht nur Tangentialstraßen sollen gebaut werden: „Wir sehen den Bedarf für Neubau und Sanierung von Verkehrswegen und wollen diesen gemeinsam voranbringen.“ Nun passiert es selbst fortschrittlichen Leuten, dass sie beim Stichwort „Verkehr“ vor allem an Kfz-Verkehr denken – Vorsicht: ideologischer Graben. Es würde uns sehr wundern, wenn das ausgerechnet in der CDU anders wäre. Aber Sanierungsbedarf gibt es an Pankower Verkehrswegen jede Menge: bei Rad- und Gehwegen, z. B. auf der Indira-Ghandi-Straße, der Rennbahnstraße, Romain-Rolland-Str., Storkower Straße usw.. Für die ist der Bezirk sogar zuständig. Auch neue Radwege dürfen gerne gebaut und Gehwege verbreitert werden – z. B. auf der Berliner Allee.
Weiter unten wird die Vereinbarung noch mal konkret: „Die Pistoriusstraße in Weißensee wollen wir zu einem lebenswerteren Raum entwickeln, den Durchfahrtsverkehr reduzieren. Dafür prüfen wir gemeinsam die Umgestaltung des Mirbachplatzes und die Nutzung des nördlichen Pistoriusplatzes.“ Nun gibt es in Weißensee viele vom Kfz-Verkehr stärker belastete Straßen, als die Pistoriusstraße. Die ist vor allem aufgrund des Linienbusverkehrs eine Vorfahrtstraße – und deshalb der Senat zuständig. Aber der Mirbachplatz soll mit 17 hochpreisigen Eigentumswohnungen samt Tiefgarage (neben und in die Kirchturmruine hinein) bebaut werden. Die verkaufen sich natürlich besser mit weniger Autoverkehr drum herum. Eine wichtige Buslinie vor der Haustür ist eher kein Verkaufsargument. Von der SPD hätten wir solche Klientelpolitik nicht erwartet.
Als einzige Maßnahme ihrer Art ist die Verkehrsberuhigung des Blumenviertels in der Vereinbarung enthalten – ein BVV-Beschluss auf CDU-Antrag, der seit 2018 nicht umgesetzt wurde. Die SPD hatte einen Antrag auf „Kiezblocks“ für den ganzen Bezirk beschließen lassen, der aber nicht in der Vereinbarung aufgenommen wurde.
In Buch wollen die beiden Parteien eine Moorlinse schützen. Warum nicht auch das Moor in der westlichen Malchower Aue, Nähe Stadtrandsiedlung? Aber da soll die Ortsumfahrung Malchow entlang führen, nicht im ideologischen Graben, aber mit Lärmschutzwand.
Pankow, sozial und ökologisch – Kooperationsvereinbarung über die Ziele und Projekte der
Zusammenarbeit der Linksfraktion und der Fraktion der SPD in der BVV Pankow für die Dauer der IX. Wahlperiode
Schon der lange Titel deutet an, dass es zwischen SPD und Linken gründlicher und kleinteiliger zugeht. Die Bezirksverwaltung soll gestärkt werden. Frau Tietje bekommt allerlei Aufgaben bei der Stadtentwicklung und der Verkehr taucht beim Thema Blankenburger Süden zum ersten Mal auf: „Dabei lehnen die Partner:innen insbesondere die überdimensionierte und auf den motorisierten Individualverkehr optimierte Straßengestaltung ab und fordern Senat und Abgeordneten auf, die Planung in diesem Sinne zu ändern.“ Da beide Parteien auch im Senat regieren und die Grünen sicher keine überdimensionierten Straßen verantworten wollen, müsste das anstatt hier Inhalt der Landes-Koalitionsvereinbarung sein…
Wir sind gespannt, und empfehlen, den Blankenburger Süden nur nach Westen an die A114 anzubinden. Die von Linken und SPD kritisierte „Optimierung auf den motorisierten Individualverkehr“ ergibt sich vor allem durch die geplante Durchbindung der Hauptverkehrsstraße durch den Blankenburger Süden nach Malchow im Osten.
Das letzte der 6 Kapitel befasst sich dann mit Klimaschutz, Energie und Mobilität. „DIE LINKE und die SPD werden Pankow weiterhin als Vorreiterinnen unter den Berliner Bezirken klimagerecht umgestalten und die Mobilitätswende vorantreiben.“ Vorreiterinnen – damit dürften die Windräder gemeint sein, nicht etwa der Verkehr. Nun will man die Photovoltaik fördern, ersatzweise Solarthermie oder Dachbegrünung. Wir empfehlen einen Besuch der UFA-Fabrik, auf deren Dächern seit Jahren Photovoltaikmodule auf Wiesen stehen. Das geht beides!
„Um die Mobilitätswende zu meistern, setzen die Partner:innen auf die Stärkung des Umweltverbunds und den Ausbau der Fahrradinfrastruktur außerhalb des S-Bahnrings und insbesondere abseits der Hauptstraßen.“ Die vorhandenen „Pop-Up-Radwege“ an Hauptstraßen innerhalb der S-Bahn-Rings in anderen Bezirken gingen auf bezirkliche Anträge zurück und nehmen dem Kfz-Verkehr (überwiegend eh nicht benötigten) Platz weg. Dass solche Flächenumverteilungen als Bausteine einer Verkehrswende nicht weitergehen dürfen, sind sich offenbar alle 3 Parteien einig. Außerhalb des S-Bahn-Rings sollen die Hauptstraßen weiterhin vor allem dem Kfz-Verkehr dienen.
Man will lieber „Sharing-Angebote und Mobilitäts-Hubs“ unterstützen. Nett, aber die – für den Klimaschutz zwingend erforderliche – Mobilitätswende „meistert“ man so nicht! Das hat die zuständige Stadträtin von der CDU auch gewiss nicht vor.
Nach dem Thema Schulwegsicherheit (ohne ein Wort zum Thema Elterntaxi) wird es noch mal interessant: „Die Parkraumbewirtschaftung hat sich als Steuerungsinstrument bewährt. Daher werden wir die Ausweitung prüfen.“ Das klingt gut, wird aber wohl leider leider von der CDU-Stadträtin abgelehnt werden – sonst hätte man sie ja in die Vereinbarung mit der CDU hineinschreiben können.
Die Hürden für die Einrichtung von Parkraumbewirtschaftung zu senken, ist Bundessache und die Gebührenordnung Senatssache. Mit kluger Parkraumbewirtschaftung könnte man die Mobilitätswende sozial gerecht voranbringen, Kostenwahrheit herstellen und Mittel für den ÖPNV-Ausbau generieren. Dass dieser Satz nicht in der CDU-Vereinbarung und hier nicht beim Thema Mobilitätswende steht, zeigt nochmals das Desinteresse der Parteien an einer Mobilitätswende und damit auch am Klimaschutz.
„Die Einrichtung weiterer Kiezblocks wollen wir voranbringen.“ Es gibt schon Kiezblocks in Pankow? Haben wir da was verpasst oder was gilt bei Linken und SPD als – CDU-freundlicher – Kiezblock?
„Bei der Umsetzung der Verkehrslösung Heinersdorf und dem Umbau der Berliner Allee werden die Partner:innen den Senat in die Pflicht nehmen“. Das wollen wir für die Berliner Allee doch hoffen! Obwohl sich Tino Schopf als verkehrspolitischer Sprecher der SPD bis dato sehr für den Umbau engagiert hat, hat er offenbar nicht seine Möglichkeit genutzt, die Berliner Allee in die Landes-Koalitionsverhandlungen einzubringen. Wir hoffen, dass Frau Jarrasch sich als zuständige Senatorin mehr für unsere Sache interessiert, als es Frau Günther zuvor getan hat.
Gegen Ende des Papiers gibt es noch eine Verfahrensabrede: „…alle Straßenbau-Projekte [werden] zunächst als Vorplanungen und dann als Ausführungsplanungen dem zuständigen Fachausschuss vorgestellt. Ausführungsplanungen bedürfen der Zustimmung des Ausschusses.“
Liebe Genoss:innen, das ist eine prima Idee, da die Ausschuss-Sitzungen ja öffentlich sind. Allerdings in dieser Formulierung zur Hälfte Unfug! Nachdem alle Planungsphasen bis zur Ausführungsplanung gemacht wurden sagt der Ausschuss Nein, und dann? Darf ein BVV-Ausschuss Planungen in die Tonne werfen? Würde er das (nach jahrelanger Planung) wirklich tun?
Vorplanungen enthalten Varianten und eine – oft politisch motivierte, aber fachlich verbrämte – Empfehlung für die sog. Vorzugsvariante. Für diese Variantenentscheidung könnte u. E. ein Ausschussvorbehalt sinnvoll sein (wenn er denn zulässig ist). Der ist aber nicht formuliert.
Aus der Vorzugsvariante wird dann die Entwurfsplanung entwickelt. Darin sind alle wesentlichen Planungsinhalte festgelegt und die Kosten berechnet. Sie ist der späteste wirtschaftlich vertretbare Zeitpunkt für einen Planungsabbruch und Neubeginn – was die einschlägigen Fachleute in den Fraktionen sicher auch wissen.
Eine Ausführungsplanung beinhaltet zusätzlich alle Details für die Ausführung und erlaubt eine genaue Mengenermittlung. Sie dürfte politisch höchstens dann interessant sein, wenn sie auf einer nachträglich geänderten Entwurfsplanung basiert.
Fazit für die Verkehrswende
Die von den Grünen bislang laut angekündigte, in Pankow weitgehend ausgefallene (und ansonsten nur punktuell begonnene) Verkehrswende wird von Pankower SPD und Linken weiter aufgeschoben, indem die CDU die zuständige Stadträtin stellen darf und indem die beiden Fraktionen in ihrer Vereinbarung auch selbst kaum Ambitionen zeigen, wie sie sie angehen wollen. Es gibt ein paar Alibi-Blümchen drum herum und ein harm- weil folgenloses Schaufenster für den Ausschuss. Ein Rollback möge im Übrigen der Senat verhindern.