Nein, eher im Gegenteil!
Jede/r Autofahrende kennt den Effekt von Autobahnen und anderen außerörtlichen Straßen: Wenn der Verkehr dichter wird, wird langsamer gefahren. Je mehr Autos pro Straßenabschnitt unterwegs sind, umso geringer ist deren Geschwindigkeit.
Wenn Ursache (viele Autos) und Wirkung (niedrigere Geschwindigkeit) vertauscht werden, funktioniert das auch: Bei niedrigerer Geschwindigkeit – also z. B. Tempo 30 anstatt 50 km/h – passen mehr Autos in einen Straßenabschnitt.
Das liegt am Abstand der Autos zueinander: Der ist bekanntlich geschwindigkeitsabhängig (Mindestabstand „halber Tacho in Metern“).
Im Stadtverkehr entstehen Staus vor allem an Ampeln. Schließlich müssen alle mal „grün“ bekommen. Wenn über eine längere Zeit mehr Autos ankommen, als bei „grün“ abfließen, entsteht ein Stau.
Wenn Leute auf die Kreuzung fahren, obwohl sie sie nicht verlassen können, und sie damit blockieren, kann auch Stau entstehen. Der Querverkehr kommt nicht an dem blockierenden Auto vorbei und kann seine Grünzeit nicht nutzen.
Außerdem führen abrupte Bremsmanöver, die sich auf die nachfolgenden Fahrzeuge fortpflanzen, zu Stockungen und ggf. zu Staus. Das kann im Stadtverkehr passieren bei Behinderungen durch Ein- oder Ausparkvorgänge, plötzlich bremsende Abbieger, rücksichtslose Einbieger/Spurwechsler, Zweite-Reihe-Parker, querende Fußgänger etc.
Da nun der Unterschied zwischen Tempo 30 und stehen bleiben kleiner ist, als der zwischen Tempo 50 und stehen bleiben, verringert Tempo 30 Häufigkeit und Heftigkeit solcher Verkehrsstockungen und führt zu gleichmäßigerem Verkehrsfluss. Deshalb entstehen bei Tempo 30 im Stadtverkehr eher weniger Staus als bei Tempo 50.
BVG-Busse
Die BVG beschwert sich oft bei Tempo 30-Anordnungen auf Busfahrwegen. Dabei fahren ihre Busse oft langsamer als Tempo 30, weil sie vor einer Haltestelle abbremsen und danach wieder beschleunigen müssen (1).
Da der Verkehrsvertrag zwischen dem Land Berlin und der BVG Sanktionen bei Unpünktlichkeit vorsieht und Busverkehrsleistungen gemäß altem Verkehrsvertrag nicht nach Strecke (wie beim Taxi), sondern nach Fahrzeit bezahlt wurden (2), haben Busfahrpläne oft Reserven, so dass die Busse häufig eher gemächlich unterwegs sind.
Im übrigen sollten seit den 2000er Jahren auch für Linienbusse Beschleunigungsmaßnahmen an Ampeln wirken, so dass Linienbusse im Idealfall ohne Halt durchfahren können. Leider wurde damals eine Billiglösung ohne Autodetektoren und autoverkehrsabhängige Steuerung umgesetzt, die keine wirksame Busbeschleunigung ermöglichte.
Dort wo eine Kreuzung vollständig mit Autodetektoren ausgestattet wurde, ließ die Verkehrslenkung Berlin dennoch keinen echten Vorrang des ÖPNV zu. Daran hat sich trotz Mobilitätsgesetz und grüner Hausleitung bislang nichts geändert.
Eine wirksamer Vorrang des ÖPNV an Ampeln würde alle Geschwindigkeitsverluste des ÖPNV durch Tempo 30 anstatt 50 km/h mehr als ausgleichen.
(1) Rechenbeispiel: Bei dem Standard-Haltestellenabstand von 300 m, zulässigen 50 km/h und einer angenommenen Bremsverzögerung und Anfahrbeschleunigung von 0,8 m/s2 beträgt die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit 29,9 km/h. Mit maximal zulässigen 30 km/h sinkt sie auf 25,7 km/h, also 4,2 km/h (= 14%) weniger.
(2) Ob das im neuen Verkehrsvertrag – seit Ende 2020 – geändert wurde, ist uns leider nicht bekannt.